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Skandal: Flüchtlingspolitik

Frontex statt Seenotrettung.

Die pax christi-Delegiertenversammlung forderte die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass Schutzsuchenden an Europas Grenzen eine gefahrenfreie Einreise sowohl an der Land- als auch an der Seegrenze ermöglicht wird. Die Rettung Schiffbrüchiger Flüchtlinge solle durch das italienische Programm „Mare Nostrum“ fortgesetzt und ab jetzt von der EU finanziert werden. Die Praxis von Grenzschutzbehörden, Flüchtlinge illegal zurückzuweisen, solle sofort beendet werden. Worum es genau geht, erläutert der folgende Artikel.

Schon zum Jahrestag der Schiffskatastrophe vor Lampedusa, bei der am 3. Oktober 2013 über 360 Bootsflüchtlinge ums Leben gekommen waren, stand der Beschluss fest. Mare Nostrum, die Rettungsoperation Italiens, wird noch in diesem Jahr auslaufen. Der Grund dafür: Die europäischen Regierungen weigern sich nach wie vor strikt, die Kosten für
eine Europäisierung der Operation zu übernehmen. Zwar reiste der Präsident des Europaparlaments Martin Schulz persönlich nach Lampedusa, um der Toten von damals zu
gedenken. Wohlmöglich erinnerte er sich dort auch an seine Worte vom Vorjahr, als er vor den aufgebarten Särgen seine Betroffenheit bekundete: Lampedusa müsse ein Wendepunkt für die europäische Flüchtlingspolitik sein. Eine Wende, die nicht eintraf. Die Pressekonferenz zum Jahrestag auf Lampedusa wurde daher von Protesten von Menschenrechtsaktivist/innen und lokalen Gruppierungen begleitet.

Die Nachricht an Schulz war deutlich: Der Opfer von damals zu gedenken, während weitere Todesfälle stillschweigend hingenommen werden, ist nicht nur heuchlerisch, sondern
schlicht ein Skandal. Die weit über 3.000 Todesfälle im zentralen Mittelmeer allein in 2014 haben in der EU zu keinem Umdenken geführt.

Durch die italienische Operation Mare Nostrum konnten seit Mitte Oktober 2013 bereits über 150.000 Flüchtlinge im zentralen Mittelmeer gerettet werden. Trotz der Rettungseinsätze sind gleichzeitig allein in den Sommermonaten weit über 2.500 Bootsflüchtlinge ums Leben gekommen.

Nach mehrmaliger Ankündigung soll die Operation nun im Dezember dieses Jahres eingestellt werden, wie der italienische Innenminister, Angelino Alfano, öffentlich bestätigte. Die europäischen Regierungen hatten sich strikt geweigert, Mittel zur Verfügung zu stellen, um Mare Nostrum in eine europäische Seenotrettung zu überführen: Am 8. Juli hatten die EU-Innenminister das Anliegen der italienischen Regierung ein für alle Mal ausgeschlagen. Ein deutliches und zynisches Signal: Rund 9 Millionen Euro pro Monat waren den europäischen Regierungen zu viel, um zehntausende von Menschenleben zu retten. Der Druck aus Rom verhallte in Brüssel jedoch nicht vollkommen: Ende August sicherte die damalige EU-Innenkommissarin Cecilia Malmöstrum ihrem italienischen Kollegen zu, dass eine Frontex-Operation eingesetzt werden solle mit dem Arbeitstitel „Frontex Plus“.

Die Ablösung von Mare Nostrum durch die Frontex-Operation-Triton lässt Schlimmes befürchten: Statt mehr Seenotrettung droht ein starker Fokus auf Grenzkontrolle und Abwehr. Frontex selber räumt bei jeder Gelegenheit ein, dass ein „Ersetzen“ von Mare Nostrum durch die Agentur aus verschiedensten Gründen nicht möglich sein wird: Die
Finanzierung der Operation Triton – wie sie nun in bekannter Frontex-Tradition heißt, nach der Operationen nach griechischen Gottheiten benannt werden – liegt deutlich unter
den für die italienische Operation verausgabten Mitteln.

Nach Angaben von Frontex belaufen sich die Kosten auf rund 2,8 Millionen Euro monatlich. Damit stehen weniger Ressourcen an Personal und Material zur Verfügung. Am
1. November 2014 startete der neue Einsatz der Agentur mit zwei Flugzeugen, einem Helikopter und sieben Schiffen, zwei davon hochseetauglich. Auch das Einsatzgebiet soll verkleinert werden. Während Mare Nostrum bis in die libyschen Gewässer Rettungsaktionen vornahm, die knapp 160 Seemeilen von Lampedusa entfernt sind, soll Triton nur nahe der italienischen Küste abdecken. Die Patrouillen werden damit nur noch bis rund 30 Seemeilen vor der italienischen Küste und vor Lampedusa reichen. Klar ist: Eine Verkleinerung der Operation wird dramatische Konsequenzen haben: Noch mehr Tote sind die absehbare Folge.

Doch abgesehen von geringeren zur Verfügung stehenden Ressourcen und der drastischen Verkleinerung des Einsatzgebietes, entspricht Seenotrettung auch nicht dem Mandat
von Frontex. Frontex-Interimsdirektor Gil Arias bestätigte bereits bei seiner Präsentation der neuen Operation vor dem Europaparlament am 4. September 2014: „Weder die Mission, noch die Ressourcen erlauben ein Ersetzen“ von Mare Nostrum. Es bestehe ein „fundamentaler Unterschied“ zwischen Triton und Mare Nostrum. Während letztere eine
„Such- und Rettungsoperation“ sei, fokussiere Triton auf „Grenzkontrollen“.
Frontex ist keine Seenotrettungsagentur. Nur eine zivile europäische Seenotrettung kann akut zur Rettung von Menschenleben beitragen. Kurzfristig muss Mare Nostrum weitergeführt, verstärkt und vor allem von der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten voll finanziert werden – wenn vor Europas Toren tausende von Schutzsuchenden und Migrant/innen ums Leben kommen, so ist dies die Verantwortung
Europas. Begleitend  zu einer umfangreichen Seenotrettungsoperation ist ein innereuropäischer Solidarmechanismus notwendig. Flüchtlinge, die zum Beispiel in
Italien, Malta oder Griechenland ankommen, müssen die Möglichkeit erhalten, in andere EU-Mitgliedstaaten legal weiterzureisen. Insbesondere in Fällen, in denen Familienbindungen oder Community-Netzwerke in bestimmten Ländern
bestehen, muss dies ermöglicht werden. Es wäre ein Akt der Menschlichkeit, aber auch ein Beitrag zu mehr Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten.

Das Sterben an den EU-Außengrenzen kann letztlich nur durch die Öffnung legaler und gefahrenfreier Wege für Schutzsuchende beendet werden.

Autor: Karl Kopp ist Europareferent von Pro Asyl und vertritt Pro Asyl im Europäischen Flüchtlingsrat.

Der Beitrag ist erschienen in der pax_zeit 4_2014.